René Hubert - Biografie 1931-1933

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Schweizer Kostümdesigner

Paris je t'aime

Nach einem arbeitsintensiven Jahr bei MGM in Amerika zieht es René Hubert im Juni 1931 wieder zurück nach Europa. Er kündigt seinen laufenden Vertrag vorzeitig – ein Vorgang, der durch den allmächtigen MGM-Studioboss Louis B. Mayer persönlich genehmigt wird –, und lässt sich wieder in seinem geliebten Paris nieder. Erneut hat ihn Erich Pommer für eine UFA-Produktion engagiert, und so hat er bereits, als er noch bei MGM unter Vertrag ist, die Kostüme für den Film «Bomben auf Monte Carlo» entworfen. Hubert begibt sich erstmal wieder nach Berlin, und als er eintrifft, sind die Dreharbeiten mit Hans Albers und Anna Sten in den Hauptrollen schon in der Schlussphase. Auch die zeitgleich gedrehte Version für den amerikanischen Markt «Monte Carlo Madness», in der Hans Albers englisch spricht, ist beinahe abgedreht – mit vorwiegend aus England stammenden Schauspieler*innen. René Hubert trifft jedoch gerade rechtzeitig ein um, in der französischsprachigen Version des Films «Le Capitaine Craddock» mit Jean Murat und Käthe von Nagy in den Hauptrollen, persönlich dafür zu sorgen das die Kostüme diesen angepasst werden.

Zwischen Berlin und Paris pendelnd, beruft ihn auch sein guter Freund, der Regisseur René Clair, wieder für eine Produktion. Der Film «À nous la liberté - Es lebe die Freiheit», eine leichtfüssig inszenierte Satire über die modernen Lebensbedingungen, attackiert soziale Missstände und die fortschreitende Technisierung, entlarvt Gefängnis- und Fabrikarbeit als gleichartig. René Hubert forciert diese Analogie mit schlichten Sträflings- und Arbeiter-Overalls, ergänzt um raffinierte Hosenröcke des weiblichen Fabrik-Personals.[1] Der Film gilt als Vorbild für Charlie Chaplins «Modern Times» (1936). Die französische Produktionsfirma prozessiert über mehrere Jahre wegen Plagiatsvorwürfen, entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Regisseurs Clair, der es als Ehre ansieht, von Chaplin kopiert zu werden. Der Filmarchitekt Lazare Meerson, mit dem Hubert auch immer wieder arbeitet, wird 1932 für das von ihm entworfene Szenenbild des Films für den Oscar nominiert. Im Gegensatz zum Szenenbild wird die Arbeit der Kostümbildner zu dieser Zeit von der Oscar Academy nicht ausgezeichnet, dies wird erst ab 1949 geschehen. «À nous la liberté» gilt als einer der wichtigsten französischen Filme der 1930er-Jahre.[2]

In den Pariser Kinos kann Hubert auch einige von ihm kostümierte, französischsprachige Versionen von MGM Filmen sehen, welche meist erst ein Jahr nach den englischsprachigen Originalen veröffentlicht werden. «Le procès de Mary Dugan» wurde in der deutschen, in Hollywood gedrehten  Version «Mordprozess Mary Dugan» von René Hubert ausgestattet. Der Film ist bereits 1929 als «The Trial of Mary Dugan» erstmals verfilmt worden, damals ausgestattet von Adrian. In «Quand on est belle», der französischsprachigen Version von «The Easiest Way», trägt Lili Damita die von Constance Bennett zuvor getragenen Hubert-Kreationen. Der Film wurde im Januar 1931, gleich nach Abschluss der Dreharbeiten zur englischen Originalversion, bei MGM in Hollywood gedreht, kommt aber erst im März 1932 in Frankreich auf die Leinwand. «Son of India» wird als «Le fils du rajah» und «Parlor, Bedroom and Bath» als «Buster se marie» von Claude Autant-Lara mit französischen Darsteller*innen inszeniert. «Parlor, Bedroom and Bath» von Buster Keaton kommt mit dem Titel «Casanova wider Willen» im Februar 1932 auch in die deutschen Kinos. Buster Keaton spricht Deutsch und spielt an der Seite von Marion Lessing und Leni Stengel.

Anna Sten und Emil Jannings werden von René Hubert im UFA-Kriminalfilm «Stürme der Leidenschaft» eingekleidet, es ist Stens letzte Rolle in einem deutschen Film, bevor sie nach Hollywood auswandert. Das von ihr gesungene Lied «Ich weiss nicht, zu wem ich gehöre» entwickelt sich zu einem Evergreen. Es wird später von zahlreichen anderen Sängerinnen wie Marlene Dietrich und Daliah Lavi und selbst von Udo Lindenberg gecovert. Für den französischen Markt wird mit «Tumultes», zeitgleich auch eine französischsprachige Version mit Florelle und Charles Boyer in den Hauptrollen gedreht.[3] Als Berater von Regisseur Robert Siodmak ist, in der französischen Version des Filmes, auch Huberts enger Freund aus Paris, André Daven an den Dreharbeiten in Berlin beteiligt.

Les Studios Paramount Paris-Joinville

Hollywood hat in den stummen 1920er-Jahren die Filmwelt beherrscht, aber mit dem Aufkommen des Tonfilms erfreuen sich europäische Filme in den jeweiligen Sprachen immer grösserer Beliebtheit und werden zu einer ernsthaften Konkurrenz für amerikanische Studios. Die US-Studiobosse wollen die Vorherrschaft auf dem internationalen Markt aber nicht kampflos aufgeben und müssen reagieren. Die Synchronisierungs- und Untertiteltechnologien sind jedoch noch nicht weit genug fortgeschritten, um eine praktikable Option zu sein, daher ist es so ziemlich die einzige Wahl, Filme in verschiedenen Sprachen und mit unterschiedlichen Darstellern zu drehen.

Eine Verordnung zur «Stärkung der heimischen Filmindustrie» bindet einen Teil der Gewinne an französischen Boden, und so beschliesst Paramount, dadurch gebundenen Gewinne direkt in Frankreich zu investieren. Robert T. Kane, Produzent und General Manager der Paramount Studios Famous Players / Lasky in Astoria, New York, wird 1929 nach Paris geschickt um die Situation vor Ort abzuklären. Im April 1930 kauft Paramount das riesige Gelände der Aubert-Studios in Joinville-St. Maurice, etwa 26 km von Paris entfernt. Die veralteten Produktionsstätten, in denen 1924 «Madame Sans-Gêne», René Hubert erster Film mit Gloria Swanson gedreht wurde, werden komplett demontiert und durch ein neues, speziell konzipiertes modernes Studio nach amerikanischem Vorbild ersetzt.

Als Generaldirektor der neu gegründeten «Les Studios Paramount Paris» schafft sich Robert T. Kane sein europäisches Hollywood. Telegramme, Kabel und Telefonnachrichten blitzen überall in Europa auf, als er Ingenieure, Regisseure, Schauspieler und Ausrüstung sammelt. Er rekrutiert eine beispiellose Konzentration von Talenten, das Who-is-Who der besten Theater- und Filmleute in Europa und anderswo. 1931 budgetiert Paramount 8 Mio. US-Dollar für Produktionen in Frankreich, was etwa 20 Prozent des gesamten Produktionsbudgets des Unternehmens ausmacht. Ein durchschnittlicher Spielfilm kostet bis zu 100.000 US-Dollar, ein Kurzfilm etwa ein Zehntel davon. In seinem ersten Jahr beabsichtigt Kane, neunzig abendfüllende Filme und mehr als fünfzig Kurzfilme zu produzieren.  Ausserdem sollen Filme in bis zu vierzehn verschiedenen Sprachversionen gedreht werden, jedoch kommt man von diesem Plan schnell wieder ab, die Kosten dafür sind zu hoch. Paramount in Paris ist äusserst produktiv, in nur drei Jahren – von 1931 bis 1933 – veröffentlicht das Studio 300 Filme. Die Weltwirtschaftskrise trifft das Unternehmen jedoch hart, auch Paramount in Joinville gerät ins Stocken und produziert ab 1932 deshalb ausschliesslich nur noch französischsprachige Filme.[4]

Das ist der perfekte Zeitpunkt für René Hubert sich, in seiner bevorzugten Wahlheimat Paris, ausschliesslich französischsprachigen Filmen zu widmen. Im November 1931 bezieht er in den Les Studios Paramount in Joinville seine eigenen Räumlichkeiten. Weiss, Silber, Stahl und viele Spiegel machen das hellglänzende Atelier zu einem Märchenzimmer. Er sitzt vor einem grossen Tisch, umgeben von Fotografien mit lobenden Widmungen grosser weiblicher Filmstars. Hantiert mit Farbe und Pinsel an seinen Entwürfen oder begibt sich in die Umkleidekabinen, drapiert edlen Satin und fluffige Federn an den hübschesten Mädchen dieser Welt. Er lächelt, ist höflich, liebenswürdig und äusserst glücklich mit seinem Los. Seine Sekretärinnen und Angestellten als auch die Schauspielerinnen verehren ihn und sagen nur Gutes über ihn, auch wenn er nicht da ist – und das ist in der Welt des Kinos eher unerwartet und höchst erfreulich. René Hubert ist der weitherum geschätzte Patron der Fashion- und Modeabteilung der Paramount-Studios in Joinville.

Sobald eine Schauspielerin engagiert ist, wird sie erst zum Fotografen und danach gleich ins Atelier des Kostümdesigners René Hubert gebracht. Er bietet ihr einen gemütlichen Sessel an und plaudert ein paar Augenblicke mit ihr, macht sich ein Bild von ihr und achtet auf körperliche Vorteile die man hervorheben kann, aber auch auf mögliche kleine Mängel, die man verbergen und kaschieren muss. Danach wird das Drehbuch des Films studiert, er reflektiert die Rolle, die Atmosphäre und den zu erzeugenden Eindruck des Films und beginnt die Kostüme zu entwerfen und eigenhändig zu skizzieren. Nach dem Kolorieren ist jeder Kostümentwurf ein kleines Meisterwerk!

Hubert weiss das Gesetz der filmischen Eleganz umzusetzen, die Harmonie eines Ensembles ist wichtiger als die Perfektion im Detail. Er kennt die fotogenen Stoffe, weiss den schmeichelhaften aber gefährlichen Schimmer eines Satins oder die Schwere von Garn zu drapieren und den unangenehmen Schatten eines Hutes im Gesicht zu vermeiden. Vor allem aber versteht er es, seine Modelle zu variieren, nicht nur in der Figur der Darstellerin, die er einkleidet, sondern auch nach der Rolle, die sie in einem Film spielt. Ein Kleid hat für René Hubert immer eine Seele und er ist der Zauberer, der diese zum Leben erweckt. [5]

Wie alle, die sich intensiv mit dem Problem der Übertragung aktueller Mode auf die Leinwand beschäftigt, ist auch René Hubert der Meinung, dass ein für das Studio entworfenes und perfekt auf die Bedürfnisse des Kinos abgestimmtes Modell in der Stadt kaum zu tragen ist, genauso wie das charmanteste Stadtkleid auf der Leinwand normalerweise nicht gut aussieht. Eine Wahrheit, die offensichtlich scheint, die aber nicht oft genug wiederholt werden kann und die gerade auf der Reise von Coco Chanel in Amerika eine brillante Demonstration gefunden hat. Nachdem sie erklärt hatte, dass Filmkostümbildner ihren Job nicht beherrschen würden und verkündete, dass sie nun endlich eine echte «Leinwand-Eleganz» schaffen würde, «kleidete» Coco Chanel Gloria Swanson in «Tonight or Never» ein. Das, kurz gesagt, ziemlich unerwartete Ergebnis ist, dass sich Gloria Swanson für ihren neusten Film, den sie demnächst in Europa dreht, sich – wie in der Vergangenheit – wieder an ihren eigenen Designer  René Hubert richtet und damit eine stillschweigende Hommage an sein Talent und die Qualität eines Spezialisten macht.[6]

Als Hubert aufsteht und eine Geste macht, rennen seine Mitarbeiterinnen heran, die Arme vollgepackt mit wundervollen Kleidern und fantastischen Kostümen. Auf dem grossen grauen Sofa und auf den Lehnen der Stühle stapeln sich die Kleider und die runden Hutschachteln, zu instabilen Pyramiden. Hubert streicht mit der Hand über die seidigen und die rauen Stoffe, als wolle er ihnen Leben einhauchen. Er kennt sie alle und in jedem Detail. Er erinnert sich an den Clip an der Taille eines romantischen rosa Chiffonkleides und an die funkelnden Kristallknöpfe einer Golfjacke. Accessoires vollenden ein Kleid in einer bezaubernden und charmanten Weise; entzückende Blumen im Arm, gemusterte Handschuhe, eine originelle Halskette, ein ausgefallener Schal und die kleine Handtasche machen ein modisches Ensemble erst vollkommen.

René Hubert ist auch ein Prophet. Er kleidet heute die Filme, die erst morgen gedreht und die wir erst übermorgen sehen werden, in der Mode der kommenden Saison ein. Was dann auf den Markt kommt und in den Modezentren aktuell ist, sieht er schon Monate im Voraus. Er beherrscht sein Handwerk vollumfänglich und kann, neben der künstlerischen und gestalterischen Umsetzung der Kostüme, auch mit seinen Pinseln, seinen Gouache- und Tuschegläsern die Kleider mit seinen schönen schlanken Händen, mit sauber gepflegten Nägeln, zum Leben erwecken.

Hinter dem silbernen Spiegelatelier des Patrons befinden sich die Werkstätten, hier wird emsig – geschnitten, geschneidert und genäht – hier sticht die Nadel häufiger in edle Seide als in dicke Wolle. Hier wird das erdachte Kleid durch flinke Hände gefertigt, danach anprobiert und vom Chef genehmigt, oftmals auch ohne, dass dieser davon weiss. Der Star trägt es danach zwei Tage lang am Filmset und wir werden es für fünf Minuten auf der Leinwand sehen.

Ist das Leben des wundervollen Kleides danach vorbei? Offensichtlich nicht – das wäre ein zu hoher Aufwand. Denn die Kleider des Designers sind nicht aus billigem Tarlatan, günstiger Kunstseide oder mit falschen Pailletten gefertigt, wie es die Bühnenkostüme von Transvestiten an Mardi-Gras oder kleiner Provinzzirkusse oftmals sind. Billigen Stoffen fehlt die nötige Flexibilität, die Weichheit, das Gewicht und der Glanz, welche Filmkostüme vor der Kamera benötigen. Daher werden nur hochwertige Stoffe verwendet, und nicht selten kostet ein Filmkostüm so viel wie ein Kleid aus einem der grossen Pariser Haute-Couture-Häuser.

Ein Kleid wird daher nicht ausgemustert, nachdem es von derjenigen getragen wurde, für die es gemacht wurde. So kommt es durchaus vor, dass eine Schauspielerin nach den Dreharbeiten – verführt durch Form und Farbe – beschliesst, es zu behalten und direkt im Atelier zu kaufen. So erwirbt etwa der französische Schauspieler Fernand Gravey ein von Hubert entworfenes, schwarzes Seidenpyjama, welches er in «Tu seras Duchesse» trug. Da aber, in den ausschliesslich schwarz-weiss gedrehten Filmen, die verwendeten Farben im Alltag eher schwierig zu tragen sind, kommt dies nicht sehr häufig vor. Wir wissen, dass Herrenhemden, Hochzeitskleider und alles, was auf der Leinwand weiss erscheint, tatsächlich blau ist. Auch verbleiben bereits verwendete Kleider oft im Atelier, wo sie verstaut werden und darauf geachtet wird, dass sie nicht ausbleichen. Aufgefrischt und ein wenig modifiziert, kleiden sie später Nebenrollen und danach Statisten.

Aber dann, in regelmässigen Abständen, wenn die Kleider zu zahlreich werden, organisiert René Hubert einen Verkauf für die Mitarbeiterinnen des Studios. Es hängen manchmal mehr als 2000 verschiedene Modelle an den Kleiderbügeln der Kostümabteilung. Die Kleider werden ab Stange für 100 oder 150 Francs verkauft und bieten den jungen Mitarbeiterinnen von Paramount so die Möglichkeit auf ein schickes Abendkleid, das sie sich sonst nie leisten könnten. Noch 50 Francs für die Reinigung, einige gelockerte Nähte ausbessern und schon ist sie da, eine komplette Toilette wie neu, zum Preis eines kleinen Konfektionskleides, aber kreiert von einem der Meister der modernen Eleganz. Und so erkennt man vielleicht beim Veteranenball im Zwölften Arrondissement, bei einer kleinen unscheinbaren Tänzerin, das berühmte weisse Satinkleid, dass man zuvor an Jeanne Helbling oder Marie Glory auf der Leinwand bewundert hat. So verlängert sich das ephemere Dasein eines Märchenkleides, das nicht nur Schönheit, sondern auch ein wenig Freude bereitet hat.

Für Meg Lemonnier, die in «Il est charmant» ein modernes, freches junges Mädchen spielt, eine nicht sehr reiche Studentin, komponiert Hubert sauber und einfach geschnittene Anzüge, aufgehellt mit einem weissen Kragen und einer witzigen Krawatte. Mit «Studenter i Paris» wird auch eine schwedischsprachige Version gedreht, wiederum mit Meg Lemonnier, aber mit Schauspieler*innen aus Schweden in den weiteren Rollen.

Im Gegensatz dazu gestaltet René Hubert in «Une nuit à l'hôtel» für Betty Stockfeld, die eine faule, jedoch wunderschöne und kokette Engländerin darstellt, eine sehr feminine Toilette, die schwarzen Samt mit grossen Perlenstickereien kombiniert.[7] Die australisch-stämmige Stockfeld, die auch französisch akzentfrei spricht, ist sowohl diesseits als jenseits des Ärmelkanals in Filmen zu sehen und wird damit zur Inkarnation einer künstlerischen «Entente cordiale» zwischen England und Frankreich in den 1930er-Jahren. Sie wird von René Hubert zeitglich für ihre nächste Rolle im Film «Monsieur Albert» eingekleidet und kehrt nach den Dreharbeiten wieder nach London zurück. Auch sie ist von der Zusammenarbeit mit Hubert begeistert und weiss seine modischen Kreationen sehr zu schätzen. In einer Postkarte von 1932 schreibt sie: «Kommen Sie nach London und machen Sie unsere Kleider. Wir brauchen Sie!». Er wird sie 1936 in London nochmals, im Film «Dishonour Bright», einkleiden.

Jeanne Helbling, welche im Film «Avec l'assurance» einen ruinierten jungen Baron kennenlernt, der als Versicherungsvertreter reiche Kunden eines großen Hotels in Nizza versicherte und diese danach betrogen hat, garantiert ihr zwei Millionen, wenn sie ihn innerhalb von zwei Wochen heiratet. Sie wird von René Hubert mit langen, aufreizenden Abendkleidern ausgestattet.[8] Jeanne Helbling hat Hubert-Kreationen bereits 1931 in Hollywood getragen, als sie in «Le procès de Mary Dugan» und «Buster se marie» in den französischsprachig gedrehten Fassungen von MGM-Filmen mitspielte.

In «Miche», einer zarten, leicht ironischen Komödie, kleidet René Hubert die charmante und talentierte Suzy Vernon, die unnachahmliche Marguerite Moreno und die aus dem Tirol stammende Edith Méra in aufwendigen Kreationen aus Tüll und Seide ein. Auch sportliche Winterkleidung weiss der Schweizer bestens in modischen Kreationen umzusetzen.

Die Komödie «Monsieur Albert», mit den momentan unterhaltsamsten männlichen Stars Noël-Noël, Louis Baron fils und René Donnio und den bezaubernden Schauspielerinnen Betty Stockfeld, Edwige Feuillère und Vera Baranovskaya, wird von René Hubert mit beeindruckenden Kostümen ausgestattet. Nichts ist verrückter als dieser perfekt gestylte Maître d'Hôtel, ausgezeichnet gespielt von Noël-Noël, der sich metamorphisch in einen noblen Gentleman von äusserster Eleganz verwandelt. Der Film, gedreht in einem modernen und luxuriösen Palast, ist eine angenehme, fröhliche Satire der modernen Gesellschaft, ohne Bosheit, aber mit viel Witz und Liebe zum Detail. 

In «La pouponnière» entwirft René Hubert entzückende Kindermädchen-Uniformen für Germaine Roger, die in einen Arzt verliebt ist, aber nach dem Willen ihrer Mutter einen reichen, jungen Mann heiraten soll und somit auch in elegante Abendgarderoben gehüllt wird. Die Schauspielerin, die auch eine sehr erfolgreiche Operettensängerin ist, bedankt sich bei René Hubert mit einer persönlichen Widmung auf einem Foto aus dem Film und spricht ihm «all ihre grosse Bewunderung» aus.

Eine neue Mode wird für Edwige Feuillère in «Topaze» lanciert. Die Schauspielerin trägt eine grosse, weisse Tunika aus Satin, mit schwarzem Satin Hintergrund und wenn sie es auf der Leinwand sehen, werden sie sicherlich denken: «Wie elegant sie ist! ... Wie schick!» Das liegt an der Arbeit und den Bemühungen von René Hubert, der seine Kreativität jetzt ganz dem französischen Kino widmet.[9]  Gefertigt werden die Kleider bei Schiaparelli, als Produzent und Autor zeichnet sich Marcel Pagnol zuständig. Er hat «Topaze» bereits 1928 geschrieben und damals am Theater inszeniert, es ist sein internationaler Durchbruch als Dramatiker.

Auch im letzten durch Paramount in Joinville produzierten und durch René Hubert ausgestatteten Film «Une faible femme» trägt Meg Lemonnier als modische Neuheit eine Tunika. Ihr Kleid ist komplett aus blauem Wollstoff, am unteren Rand befindet sich ein breites, in schwarz eingelegtes Band, das die Unterseite der Tunika bildet, aber am Kleid befestigt ist. Dazu die Ärmel aus dem gleichen blauen Stoff, sie scheinen kurz, aber nur weil lange Handschuhe dazu getragen werden, welche aus dem gleichen schwarzen Stoff sind wie das eingelegte Band an der Unterseite des Kleides.[10]

Als es mit den Paramount Studios in Joinville im April 1933 zu Ende geht, verlässt Robert T. Kane Paramount und wechselt zu Fox Films, wo sein Schwager Sidney Kent Präsident ist. Fox Films schlägt vor, dass Kane in Joinville erstmal in die gleiche Richtung weitermachen solle. Kanes Abgang und Paramounts grosse finanzielle Schwierigkeiten signalisieren das Ende von Paramount in Paris, nur drei Jahre nachdem diese die Joinville-Studios gekauft und aufgebaut hatten.[11]

In seinen eineinhalb Jahren bei Les Studios Paramount in Joinville hat René Hubert nachweislich in 10 Filmen mitgewirkt. Bei den hohen Ansprüchen und finanziellen Erwartungen der Studio-Bosse aus den USA ist jedoch davon auszugehen, dass er in dieser Zeit an mindestens 10 bis 20 weiteren Produktionen mitgewirkt hat. So hat er wahrscheinlich auch viele, bisher unbestätigte, Filme ausgestattet – wie «La chance» mit Marie Bell, «Coiffeur pour dames» mit Mona Goya, Laure Diana und Simone Héliard, «La perle» mit Paule Andral, «Mon coeur balance» mit Marie Glory und Hélène Perdrière, «Maquillage» mit Rosine Deréan, «Rien que des mensonges» mit Jackie Monnier, Janine Guise und Raymonde Allain, «La poule» mit Arlette Marchal, Edith Méra und Marguerite Moreno und «Simone est comme ça» mit Meg Lemonnier und Davia. Alles Filme, welche von den Regisseuren Karl Anton und René Guissart inszeniert werden. Mit beiden hat Hubert in Joinville in anderen Produktionen gearbeitet. Spätestens in «Melodía de arrabal» stattet er auch die argentinisch-spanische Sängerin und Tänzerin Imperio Argentina aus, hat aber vermutlich bereits zuvor mit ihr gearbeitet. Jenny Jugo, die die Hauptrolle im deutschen Film «Die nackte Wahrheit» von Regisseur Karl Anton spielt, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Hubert in Joinville eingekleidet.[12]

René Hubert, der sich mit Robert T. Kane bestens versteht, schliesst sich diesem vorübergehend an. Seine letzten Filme in Joinville, Max Ophüls’ «On a volé un homme» und Fritz Langs «Liliom» werden für Les Productions Fox Europe produziert. Hubert und Kane kennen sich schon seit vielen Jahren, als beide, Mitte der 1920er-Jahre, bei Paramount in New York gearbeitet haben. Produzent Kane engagiert den Kostümdesigner Hubert auch in den folgenden Jahren für weitere seiner Produktionen in Hollywood und London.

Perfect Understanding

Gloria Swansons Rolle in «Perfect Understanding», einer hauptsächlich in London gefilmten Produktion von United Artist, passt genauso perfekt zu ihr wie ihre vielfältigen Kleider, wegen denen jede Frau im Publikum nach der Vorstellung umgehend zu ihrer Schneiderin eilt! Mit den Jahren hat Gloria Swanson gelernt, welche Kleidung am besten zu ihrer Persönlichkeit passt und bringt ihr eigenes praktisches Wissen, wie verschiedene Materialien und Stoffe vor der Kamera wirken, in die Gestaltung ihrer Kleider mit ein. Kreiert werden die Kleider bereits sechs Monate vor der Premiere im Januar 1933 von den berühmten Couturiers René Hubert und Schiaparelli aus Paris, die somit auch prognostizieren, wie die aktuelle Mode in einigen Monaten aussehen wird.[13] Gloria Swanson spielt eine moderne, amerikanische Lady, die einen englischen Aristokraten heiratet, nachdem dieser einen Vertrag über ein «Perfect Understanding» unterzeichnet hat. Jeder Partner hat die volle individuelle Freiheit, Freundschaft ist die Grundlage der Ehe. Aber als die Krise kommt, stellen sie fest, dass Freundschaft allein die Liebe nicht ersetzen kann. In weiteren Rollen sind Swansons vierter Ehemann Michael Farmer und der erst 25-jährige Laurence Olivier als ihr englischer Liebhaber zu sehen, ebenso Genevieve Tobin, John Halliday, Nora Swinburne und Sir Nigel Playfair als perfekter englischer adliger Lord mit Monokel.[14]

Im Herbst 1932 dreht der amerikanischen Regisseur John Ford für MGM in Hollywood das Drama «Flesh». Die Hauptrollen werden von Wallace Beery, Ricardo Cortez und Karen Morley gespielt. Ob Hubert die Kostüme in Europa entworfen hat oder er diese bereits ein Jahr zuvor, als er noch bei MGM festangestellt war, ist nicht bekannt. Karen Morley, die für MGM als Stand-in für Greta Garbo entdeckt wird, ist von Hubert zu Beginn ihrer Filmkarriere gleich mehrfach eingekleidet worden. Bei René Hubert bedankt sie sich mit den bewundernden Worten, «Wenn nur meine Schauspielerei deiner Kleidung gerecht wird».

«Quatorze Juillet» von Regisseur René Clair erzählt eine alltägliche Geschichte aus dem Leben zweier Pariser Kleinbürger, die am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli, ihren Ausgangspunkt nimmt und Paris zeigt wie es leibt und lebt, tanzt, lacht, sich freut und streitet. Die Uraufführung findet am 13. Januar 1933 in Paris statt, die deutsche Erstaufführung erfolgt nur wenige Tage später.[15] René Hubert zeigt sich erneut für die Kostüme verantwortlich und arbeitet erstmals mit der französischen Schauspielerin Annabella in einem Film zusammen, zwischen den beiden entwickelt sich eine enge Freundschaft, und er wird sie noch in sechs weiteren Filmen und auch privat einkleiden.

Rolf Ramseier, Oktober 2021


[1] 210305 Saalblatt Museum für Gestaltung, Ausstellung René Hubert: Kleider machen Stars, 19.03.21-19.06.21

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Es_lebe_die_Freiheit

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Stürme_der_Leidenschaft

[4] https://theblondeatthefilm.com/2015/07/06/paramount-in-paris/

[5] 320721 Cinémonde, n° 196, 21 juillet 1932, p. 592 & 593, ”Le Roman d’une Robe de Cinéma”, Suzanne Chantal

[6] 320707 Pour vous, n° 190, 7 juillet 1932, ”Les robes de René Hubert”, André R. Maugé

[7] 320721 Cinémonde, n° 196, 21 juillet 1932, p. 592 & 593, ”Le Roman d’une Robe de Cinéma”, Suzanne Chantal

[8] 320401 Les Modes - revue mensuelle

[9] 320916 Le Petit Provençal, 16 septembre 1932

[10] 321208 L'Écran du Centre journal

[11] https://theblondeatthefilm.com/2015/07/06/paramount-in-paris/

[12] Namenslisten 1934 & 1960er, Nachlass René Hubert

[13] 320805 Linlithgowshire Gazette, Friday 05 August 1932, ”Gloria Swanson’s Gowns”

[14] 330312 The Times, Monday, Mar 13 1933, “At the Capitol”

[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_14._Juli