René Hubert - Biografie 1933-1934

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Schweizer Kostümdesigner

Walzerkrieg

Im Frühling 1933 gestaltet René Hubert für die UFA in Berlin im Film «Walzerkrieg» die prachtvollen Kostüme. Regisseur Ludwig Berger erschafft einen grandiosen Film, der in von Robert Herlth und Walter Röhrig geschaffenen, monumentalen Kulissen mit maximaler Pracht und extremem Luxus gedreht wird. Die Handlung spielt um 1840, was es Rene Hubert ermöglicht, für die Darsteller und für eine Vielzahl von Statisten eine Fülle von beeindruckenden Kostümen und historischen Uniformen von anmutigster Wirkung zu schaffen. Das Szenario um die Rivalität des angesehenen und beliebten Walzerkomponisten Joseph Lanner und seines noch weitgehend unbekannten Schülers und ersten Geigers Johann Strauss, ist zwar etwas verwirrend, aber das Ganze ist ein solcher Augen- und Ohrengenuss, dass man solche Detailmängel leicht übersieht.[1]

Die Dreharbeiten finden im Juni und Juli 1933 in den UFA-Ateliers Babelsberg und deren Freigeländen in Potsdam statt. Zeitgleich wird eine französischsprachige Version mit dem Titel «La Guerre des Valses» hergestellt. Die Rolle von Willy Fritsch übernimmt Fernand Gravey, den Part von Renate Müller übernimmt Janine Crispin, Königin Viktoria wird in der deutschen Version von Hanna Waag und in der französischen Version von der bezaubernden Madeleine Ozeray gespielt.

Bei der glamourösen Galafeier zur Frankreich-Premiere am 12. Dezember 1933 im Cinéma Aubert-Palace in Paris sind, neben René Hubert, auch Produzent Günther Stapenhorst, Regisseur Ludwig Berger und der Filmkomponist Alois Melichar anwesend. Ebenfalls auf der Ehrentribüne platzieren sich, die an der französischen Fassung beteiligten Schauspieler*innen Fernand Gravey, Janine Crispin, Madeleine Ozeray, Pierre Mingand, Dranem, Fernand Charpin und Nane Germon. Die prominent besetzte Gästeliste umfasst das «qui est-ce qui» der Pariser Filmsociety. Unter den illustren Namen des spektakulären Abends sind Filmproduzenten, Regisseure und Autoren wie Max Reinhardt, Marcel L’Herbier, Henri Chomette (der Bruder von René Clair), Marcel Vandal, Charles Delac, Marcel Idzkowski, Gaston Ravel, Jean Bernard-Derosne, Pierre Bost, der Impresario des Théâtre Pigalle Gabriel Astruc und die Maler Paul Strecker und Maurice Van Moppès. Ausserdem gehören zu den auserlesenen Gästen Schauspieler*innen wie Maurice Chevallier, Jane Renouardt, Germaine Aussey, Jeanne Boitel, Roger Dann, Jean Galland, Robert Lepers, Félix Oudart, George Rigaud, Pierre Stéphen, Michel Duran und Mme und Jacques Bousquet. Mit Léonard Rosenthal gesellt sich einer der reichsten Diamantenhändler, Filmförderer und Produzent eines Sergei-Eisenstein-Kurzfilms von 1930 zum erhabenen Kreis. Und natürlich darf, an einem solch filmisch hochstehenden Anlass, auch der Filmkritiker und Journalist Roger Régent, vom populären Pariser Magazin «Pour vous», nicht fehlen.[2]

Man lässt es sich an diesem wundervollen, kalten Winterabend in Paris nicht nehmen die exzellente, französische Version des Filmes «La Guerre des Valses» ausgiebig zu feiern. Die deutsche Version «Walzerkrieg» ist bereits zwei Monate zuvor in den Kinos in Deutschland angelaufen und kommerziell äusserst erfolgreich. Aber es liegen bereits seit Monaten dunkle Schatten über der UFA Produktion.

Nie wieder Deutschland

Die UFA ist durch den deutschnationalen Geist, der schon vor der Machtübernahme durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in ihr herrschte, auf die Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda und deren Filmpolitik zugeschnitten. Der Vorstand der UFA beschliesst, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem NSDAP-Regime, bereits am 29. März 1933, zahlreiche jüdische Mitarbeiter zu entlassen. Die «unangenehme» Aufgabe der Kündigung der Verträge der jüdischen Mitarbeiter wird an den Produktionsdirektor Ernst Hugo Correll delegiert. Er macht danach noch einige Jahre Karriere bei der UFA, weigert sich aber später, der NSDAP beizutreten und wird deshalb im Februar 1939 als Vorstandsmitglied und Produktionsleiter der UFA entlassen.[3] (Anm.: Karma is a bitch)

Auszug aus dem Protokoll der UFA-Vorstandssitzung vom 29. März 1933:

«Weiterbeschäftigung von jüdischen Mitarbeitern und Angestellten»

Mit Rücksicht auf die infolge der nationalen Umwälzung in Deutschland in den Vordergrund getretene Frage über die Weiterbeschäftigung von jüdischen Mitarbeitern und Angestellten in der Ufa beschließt der Vorstand grundsätzlich, daß nach Möglichkeit die Verträge mit jüdischen Mitarbeitern und Angestellten gelöst werden sollen. Es wird ferner beschlossen, zu diesem Zweck sofort Schritte zu unternehmen, die die Auflösung der Verträge der einzelnen in Betracht kommenden Personen zum Ziele haben.

Jedes Vorstandsmitglied soll die Entscheidung darüber treffen, welche Mitarbeiter und Angestellten in seinem Ressort sofort zu entlassen und welche im Wege eines langsamen Abbaues aus den Diensten der Ufa auszuscheiden sind. Fälle, die Härten aufweisen, sollen schonend behandelt werden. Gehaltsauszahlungen nach erfolgten Kündigungen sind mit Herrn Klitzsch zu besprechen.»[4]

Der Schweizer René Hubert hat, zwischen 1928 und 1933, mit allen Betroffenen, die nachfolgend aufgeführt sind, in Produktionen bei der UFA in Berlin zusammengearbeitet. Bei den zwölf Personen, welche unmittelbar durch die Entscheidungen der UFA-Vorstandssitzung vom 29. März 1933 zur «Weiterbeschäftigung von jüdischen Mitarbeitern und Angestellten» betroffen sind, wird aus dem kompletten Protokoll zitiert. Hubert wurde mit Sicherheit von Erich Pommer, aber wahrscheinlich auch von weiteren direkt Betroffenen, umgehend über die Massnahmen und Konsequenzen persönlich informiert, andere sind zu diesem Zeitpunkt bereits emigriert. Insgesamt erfahren mindestens neun an «Walzerkrieg» direkt Beteiligte umgehend oder in den folgenden Jahren die Konsequenzen der nationalsozialistischen Machübernahme. Der Autor Robert Liebmann und der Schauspieler Otto Wallburg werden im KZ Auschwitz in der Gaskammer ermordet.

Der jüdische Regisseur Ludwig Berger darf den Film «Walzerkrieg», im wenige Monate zuvor nationalsozialistisch gewordenen Deutschland, nur deshalb zu Ende drehen, weil er aus seinem Vertrag nicht vorzeitig entlassen werden kann. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Regisseur Dr. Berger, offensichtlich ein vorschnelleres Ende erhoffend: «h) Sein Vertrag soll, sobald der Film Walzerkrieg, in dem er Regie führen soll, beendigt ist, nicht verlängert werden, falls nicht aus anderen Gründen Lösung erfolgen muss.» 1935 emigriert Berger über Frankreich und die Niederlande nach England, kehrt jedoch bald wieder nach Deutschland zurück, wo er zurückgezogen lebt. Er bemüht sich um Aufträge in Paris und London, kann aber nur noch wenige Filme verwirklichen. [5] Während des Westfeldzugs befindet sich Berger in den Niederlanden und entgeht seiner Verhaftung mit gefälschten Papieren, er kehrt 1947 wieder nach Deutschland zurück.

Für den jüdischen Erfolgsautoren Robert Liebmann wird der Film die letzte Arbeit in seiner alten Heimat, er erhält keine Aufträge mehr und muss emigrieren. Im Vorspann von «Walzerkrieg» erscheint sein Name bereits nicht mehr. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Robert Liebmann ganz lapidar: «e) Der Vorstand beschließt, sich von Robert Liebmann mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse zu trennen. Herr Correll wird gebeten, mit ihm zu verhandeln.» 1938 wird er im Juli aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen, und im Juli 1939 folgt die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. Während der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht wird Liebmann verhaftet und ins Sammellager Drancy gesteckt. Von dort wird er ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er vermutlich gleich nach seiner Ankunft ermordet wurde.[6]

Und auch für den zweiten Drehbuchautoren, den homosexuellen Österreicher Hans Müller, ist «Walzerkrieg» seine letzte filmische Arbeit in Deutschland, nachdem er zuvor Chefdramaturg bei der UFA war. 1930/31 hat er die Drehbücher zu «Liebling der Götter», «Liebeswalzer», «Stürme der Leidenschaft» und zu «Bomben auf Monte Carlo» geschrieben, welche alle von René Hubert ausgestattet wurden. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es bezüglich Dr. Hans Müller, vor der Streichung, fast noch erwartungsvoll nationalistisch: «f) Auch sein Vertrag soll, falls sich keine Möglichkeit ergibt, - ihn als Autor vaterländischer Werke zu halten, (gestrichen) - gelöst werden.» Offenbar hat der Vorstand, vor der Streichung, noch seine äusserst beliebten patriotischen Schlachtschilderungen aus dem 1. Weltkrieg in Erinnerung[7] und will ihm zunächst, aufgrund seiner scheinbaren Anpassungsfähigkeit, noch eine Chance geben, entscheidet dann aber doch anders. Camill Hoffmann, Prager Lyriker und Diplomat bei der tschechischen Gesandtschaft in Berlin und Freund Müllers aus Studienjahren, schrieb in sein Tagebuch als er diesen Anfang 1932 in Berlin auf der Strasse sah. «Ich dachte mich nach Wien zurück, in die Zeit, da er (Müller), Stefan Zweig und ich unsere ersten Gedichtbände herausgaben. Wir hielten Müller für so begabt! Aber wir lachten über seine Unbedenklichkeit, wie er sich äussere Erfolge verschaffte. {…} Jetzt hat er den franzosenfeindlichen Film «Yorck» geschrieben. Bei jeder Konjunktur dabei, also auch bei der nationalistischen. Jude, Sohn eines Advokaten aus Brünn, - ich wollte ihm im ersten Augenblick auf die Schulter klopfen; ‹Was machen Sie für Schweinereien, Müller! › Aber natürlich liess ich’s sein.»[8] (Hoffmann wird zusammen mit seiner Frau am 28. Oktober 1944, mit dem letzten Transport aus dem Ghetto Theresienstadt, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet). 1927/28 arbeitet Hans Müller zum ersten Mal in Hollywood bei National Pictures, in den Folgejahren pendelt er zwischen seinen Wohnsitzen in Berlin, wo er seit 1925 für die UFA arbeitet, und Hollywood, wo MGM ebenfalls mehrere Filme nach seinen Drehbüchern verfilmt. Bereits 1928 übersiedelt er teilweise in die Schweiz in ein Chalet in Einigen am Thunersee im Kanton Bern. 1932 kauft er das Häuschen und lebt dort, samt Chauffeur und Köchin, mit seinem Sekretär und Lebenspartner Nikolaus Schwarz, eine für diese Zeit bemerkenswert offen schwule Partnerschaft. Den Ortsnamen Einigen macht er zu einem Bestandteil seines Künstlernamens und nennt sich 1938 bei der Publikation seines ersten autobiografischen Werks «Geliebte Erde» erstmals «Müller-Einigen». 1941 wird er aus dem Deutschen Reich zwangsausgebürgert und somit staatenlos. Am 28. Februar 1942 werden ihm die an der Universität Wien erworbenen Doktorgrade aus rassistischen Gründen aberkannt, da er im Nationalsozialismus «als Jude als eines akademischen Grades einer deutschen Hochschule unwürdig» gilt.[9] Während des Krieges schreibt er für die Stadttheater in Bern und Basel und erwirbt 1949 das Schweizer Bürgerrecht. Müllers Werk wird durch wirkungssichere Dramaturgie gekennzeichnet und hat oft einen stark homoerotischen Unterton (etwa in den ekstatischen Liebesfantasien der «Violanta» oder den frivolen Szenen «Im weissen Rössl») Diese homosexuellen Elemente könnten – laut Müllers Biograf Arthur Maibach – ein Grund dafür sein, dass die Nachwelt sich weitgehend von Müller abgewandt hat, da seine sinnliche Ästhetik nicht in die «biederen» 1950er-Jahre passte. Erst im neuen Millennium wird er ansatzweise wiederentdeckt, u.a. mit einem Artikel im Buch «Glitter and be Gay: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer» (2007).[10] Ob sich Hans Müller und René Hubert persönlich gekannt haben, ist nicht überliefert.[11] Da aber beide diesseits und jenseits des Atlantiks aktiv sind und eine starke Bindung zur Schweiz haben, ist anzunehmen, dass eine Bekanntschaft bestand.

Auch dem Produzenten Günther Stapenhorst, der in «Walzerkrieg» kurzfristig als Ersatz für den entlassenen Erich Pommer eingesetzt wird, macht die zunehmende Kontrolle durch den NS-Staat zu schaffen. Er emigriert 1935 nach England und lässt sich bei Kriegsbeginn in der Schweiz nieder, unterhält aber auch weiterhin Kontakte zu Deutschland und bewirbt sich Anfang der 1940er Jahre dreimal um einen Direktionsposten bei der UFA, was aber mit Hinweis auf seine Zusammenarbeit mit jüdischen Schauspielern abgelehnt wird. In der Schweiz wiederum gerät er zunehmend unter Spionageverdacht. Im Frühjahr 1942 wird ihm verboten, den Aussenaufnahmen zu seinem Film «Steibruch» beizuwohnen, er bleibt aber bis Kriegsende in der Schweiz.[12]

Adolf Wohlbrück, der als Österreicher die Rolle des noch jungen, aber bereits ehrgeizigen Johann Strauss in «Walzerkrieg» hervorragend verkörpert, kann sich als «Halbjude» und, dem Vernehmen nach Homosexueller, trotzdem bis 1936 in Deutschland halten und erhält nach wie vor Hauptrollen. Aber als vehementer Gegner des NS-Regimes muss er 1936 nach England emigrieren. Als Adolf Wilhelm Anton Wohlbrück geboren, arbeitet er künftig unter dem Künstlernamen Anton Walbrook – den Namen des verhassten Führers verbannt er aus seiner neuen Identität. Im Exil setzt er sich aktiv für jüdische Schauspieler und «nichtarische» Angehörige deutscher Schauspieler ein, finanziell oder indem er ihnen die Wege zur Flucht zu ebnen verhilft.[13]

Der angesehene Komponist Joseph Lanner wird in «Walzerkrieg» von Paul Hörbiger verkörpert. Wie andere Künstler stellt sich auch Hörbiger 1938 nach dem Anschluss Österreichs der NS-Propaganda für den Aufruf zur «Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Deutschland» zur Verfügung, wendet sich jedoch in der Folge von den Nationalsozialisten ab. Er nutzt seine Popularität, um vielen jüdischen Kollegen aus der Wiener Künstlerszene zur Flucht in die Schweiz zu verhelfen. Nachdem er einer Widerstandsgruppe, der er selber angehört, einen Scheck über 3.000 Reichsmark mit seiner Unterschrift übergibt und das bekannt wird, wird er 1945 verhaftet, im Wiener Landesgericht inhaftiert und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt – nur das Kriegsende rettet ihm vermutlich das Leben.[14]

Die als Tänzerin Ilonka in «Walzerkrieg» von René Hubert besonders hübsch eingekleidete Rosy Barsony, aus Ungarn stammend, erhält trotz ihrer jüdischen Herkunft unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine Sondergenehmigung der UFA. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zur Jüdin Rosy Barsony unverblümt fordernd: «n) Mit Rücksicht auf die Knappheit an jugendlichen Darstellern soll versucht werden, ihre Weiterbeschäftigung durchzusetzen.» Ab 1935 wird ihr diese Ausnahmeregelung jedoch verweigert, und sie muss Deutschland verlassen. Zusammen mit ihrem Ehemann und Bühnenpartner unternimmt sie Tourneen durch Rumänien, Italien, England und in die Vereinigten Staaten. In Wien und Budapest steht sie bis zum Anschluss Österreichs häufig auf der Bühne oder vor der Kamera. Die Kriegsjahre verbringt sie, mit einem Auftrittsverbot belegt, in Budapest, während Künstlerinnen wie Marika Rökk und Clara Tabody das von ihr im deutschen und österreichischen Film geprägte Idealbild der temperamentvollen, tanzfreudigen Ungarin fortsetzen.[15]

Renate Müller wird für «Walzerkrieg» durch René Hubert in feinste und edelste Garderoben gekleidet. Als Katti, Tochter von Walzerkomponist Joseph Lanner, schürt die schöne Renate Müller den Konkurrenzkampf zwischen ihrem Vater und Johann Strauss weiter an, und im Laufe des Filmes wird daraus ein ausgewachsener Walzerkrieg. Sie gilt in den 1930er Jahren als Inbegriff des anständigen, jungen deutschen Mädchens und bildet damit einen Kontrast zur verführerischen Femme fatale à la Marlene Dietrich. Im Anschluss an «Walzerkrieg» mehren sich Gerüchte über ihre angeschlagene Gesundheit, und sie muss ihre Filmarbeit einschränken.[16] Blond und blauäugig, dem arischen Ideal entsprechend, zeigt auch Adolf Hitler Interesse an der bezaubernden Schauspielerin. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels lädt sie zu privaten Gesellschaften in die Reichskanzlei ein und platziert sie am Tisch direkt neben dem Führer, ein deutlicher Hinweis. Zweimal geht sie hin, beim dritten Mal sagt sie ab – eine mutige Aktion: Der Führer ruft, und Müller verweigert sich! Von da an lässt Goebbels sie überwachen. Ein Berufsverbot erteilen kann er ihr nicht, dazu ist sie zu beliebt und berühmt. Aber schikanieren lassen kann er sie. Er verweigert ihr einen Reisepass nach Paris. Denn dort, das weiss Goebbels, wartet ihr langjähriger Freund, ein junger Mann namens Georg Deutsch, Sohn eines Bankiers und – Jude. Sie leidet unter der Situation, trinkt und nimmt starke Schlaf- und Aufputschmittel. Im September 1937, betrunken und unter Drogen, fällt sie vom Balkon ihres Hauses in Berlin. Absichtlich oder aus Versehen oder gar unter Mithilfe der Gestapo – man weiss es nicht. Viel passiert ist ihr dabei nicht, aber zwei Wochen später, im Krankenhaus, bekommt sie plötzlich einen schweren epileptischen Anfall. Wenige Stunden dauern die Krämpfe, dann ist Renate Müller tot, gerade mal 31 Jahre alt. Unmittelbar danach wird ihr Haus von der Gestapo in Besitz genommen, sämtliche Briefe werden vernichtet, der Nachlass zwangsversteigert. Der Erlös geht an den Staat, die Schulden, die sie noch hat, müssen ihre Eltern bezahlen.[17]

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird auch Produzent Erich Pommer, der den Kostümier René Hubert 1928 erfolgreich für die UFA nach Berlin verpflichtet hat, im März 1933 ins UFA-Management zitiert und ihm die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit gestellt. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Erich Pommer, der nach Erik Charell als zweiter aufgeführt ist, in klarer, deutlicher Endgültigkeit: «b) Ferner wird beschlossen, den Vertrag mit Pommer ebenfalls mit Rücksicht auf die Unmöglichkeit, bei den gegenwärtigen Verhältnissen die von ihm hergestellten Filme zu realisieren, zur Auflösung zu bringen. Der in seiner Produktion vorgesehene Film Walzerkrieg, dessen Drehbuch bereits vorliegt, soll hergestellt werden. Der Film Ljubas Zobel wird aufgegeben. Herr Correll wird gebeten, durch persönliche Rücksprache mit Herrn Pommer die Angelegenheit zu erledigen.» Pommers Vertrag mit der UFA wird, da er als Jude gilt, daraufhin aufgelöst. Nach 1933 arbeitete er zuerst für Fox Films in Paris und danach in Hollywood und London und immer wieder springt ihm René Hubert als Kostümdesigner zur Seite. Zu Beginn der 1940er Jahre gerät Pommer nach einer Erkrankung in eine wirtschaftliche Notlage. 1944 erhält er die US-Staatsbürgerschaft und kehrt 1946 als oberster Filmoffizier der amerikanischen Militärregierung nach Deutschland zurück, wo er bis 1949 bleibt.[18]

René Hubert hat mit Erik Charell bereits 1924 – für dessen erste Regiearbeit an der Revue «An Alle!» – an der Bühne des Grossen Schauspielhaus in Berlin, als Bühnenbildner und Kostümdesigner gearbeitet. Wegen Charells Talent zu prunkvollen Inszenierungen überträgt Produzent Erich Pommer ihm 1931, zusammen mit seinem Ausstatter Ernst Stern, die Regie des Films «Der Kongress tanzt» mit Lilian Harvey in der Hauptrolle, einem der ersten und zugleich auch erfolgreichsten Musikfilme der frühen Tonfilm-Ära. Bis heute zu den wichtigsten deutschen Filmen zählend, wird der Film am 1. Oktober 1937 im Deutschen Reich von der Filmprüfstelle verboten, weil er das «nationalsozialistische Empfinden» verletzt habe und Juden an der Produktion mitgewirkt haben. 1933 löst die UFA wegen Charells jüdischer Abstammung seinen Vertrag über weitere Filmvorhaben auf.[19] Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Erik Charell, der als erster aufgeführt ist, in deutlich antisemitisch begründeter Klarheit: «a) Charell-Vertrag Es herrscht Einigkeit darüber, daß unter den obwaltenden Verhältnissen insbesondere der Vertrag mit Charell als Regisseur und Drehbuchbearbeiter des in der Pommer-Produktion vorgesehenen, den Odysseus-Stoff behandelnden Films sofort zur Auflösung gebracht werden muß, da die Persönlichkeit Charells nicht nur der Herstellung des Films hinderlich im Wege stehen, sondern vor allen Dingen die Auswertung des Films auf erhebliche Widerstände bei dem nationalen deutschen Publikum stoßen wird. Der Vorstand bittet die Herren Dr. Donner und Dr. von Boehmer, die juristische Seite der Aufhebung des Vertrages mit Charell unter bester Wahrung der Interessen der Ufa zu unternehmen. Die Mitarbeiter Charells an dem Drehbuch, die Herren Schulz und Stemmle, sollen davon in Kenntnis gesetzt werden, daß eine Weiterarbeit an dem Drehbuch nicht stattfindet. Ihr Vertrag soll mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse aufgehoben werden.» 1934 dreht Erik Charell im Exil in Hollywood den floppenden Film «Caravane» in einer englischen und einer französischen Fassung. René Hubert hat bei diesem Film für seine Busenfreundin, Hauptdarstellerin Annabella, zumindest einen Rock beigesteuert, den er in den 1940er Jahren in «Wilson» und «Dragonwyck» erneut verwendet.[20] Ausstatter und Kostümdesigner von «Caravane» ist Ernst Stern. Der Bühnenbildner Stern, aufgrund seiner jüdischen Herkunft auch Exilant, ist danach in London ansässig und dort u.a. am Adelphi Theatre tätig, an welchem auch Hubert 1936 Kostüme für das Musical «Balalaika» entwirft.

Werner Richard Heymann, ebenfalls bereits 1926 von Erich Pommer für die UFA engagiert, gilt als einer der bedeutendsten Musikschöpfer der Weimarer Republik. 1930/31 komponiert er die Musik zu «Liebeswalzer», «Die Drei von der Tankstelle» und «Bomben auf Monte Carlo», bei denen René Hubert jeweils für die Kostüme zuständig ist. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Werner Richard Heymann erst noch heuchlerisch: «d) Mit Rücksicht auf den anständigen Charakter von Werner R. Heymann und auf die Tatsache, daß er als Frontsoldat den Krieg mitgemacht hat beschließt der Vorstand, sich bei der Regierung für seine Weiterverwendung in den Diensten der Ufa einzusetzen, zumal er getauft ist und dem evangelischen Glaubensbekenntnis angehört.» Auch Heymann wird wegen seiner jüdischen Abstammung von der UFA auf die Strasse gesetzt. Er emigriert nach Paris, dann für kurze Zeit nach Hollywood, wo er auch am Film «Caravane» mitarbeitet, danach nach London. Er ist aber zunächst recht erfolglos und begibt sich dann erneut in die USA. Hier komponiert er mit zunehmend grossem Erfolg zahlreiche Filmmusiken und wird mehrmals für den Oscar nominiert.[21]

Musikdirektor Gerard Jacobson, Assistent von Komponist Werner Richard Heymann, u.a. in dem von René Hubert ausgestatteten Film «Stürme der Leidenschaft», wird ebenfalls 1933 von der UFA entlassen. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Gerard Jacobson: m) Der Assistent von Werner Richard Heymann, Jacobson, kann ebenfalls nicht mehr von der Ufa weiterbeschäftigt werden. Einwendungen gegen eine Mitarbeit bei Werner Richard Heymann in dessen privaten Diensten sollen nicht erhoben werden.

Mit der zentralen Figur des Schweizer Kinos der 1930er- und 1940er-Jahre, dem Produzenten Lazar Wechsler, hat René Hubert nie gearbeitet, aber die beiden sind sich in Berlin sicherlich auch mal über den Weg gelaufen und kannten sich vermutlich. Denn auch wenn Hubert nie einen Schweizer Film ausstattete, hatte er durchaus auch private Kontakte zu Schweizer Filmschaffenden und Künstlern. Als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Ehepaares aus Polen, wird auch Wechsler nicht mehr von der UFA beschäftigt. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Regisseur Wechsler kurz und bündig: «g) Es besteht Einigkeit darüber, daß auch sein Vertrag aufgehoben werden muß. Herr Correll wird gebeten, sich mit Herrn Wechsler persönlich dieserhalb in Verbindung zu setzen.» Wieder in der Schweiz, schafft es Wechsler, der bisher cineastisch vollkommen unbedeutenden Schweiz den Ruf einer engagierten Filmnation einzubringen.[22]

Viktor Gertler, dem aus Ungarn stammendem Filmeditor, Regisseur und Drehbuchautoren der 1930/31, in den durch René Hubert kostümierten Filmen «Die Drei von der Tankstelle» und «Stürme der Leidenschaft», für den Filmschnitt verantwortlich ist, wird durch das UFA-Management ebenfalls die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit gestellt. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Produktionsassistent Viktor Gertler klar antisemitisch begründet: «k) Sein Vertrag soll bis zum 1. Oktober 1933 gekündigt werden, da seine Weiterbeschäftigung mit Rücksicht auf seine ungarische Nationalität und seine jüdische Konfession unmöglich erscheint.» Er kehrt nach Ungarn zurück und arbeitet dort bis 1938 als Regisseur, als ihn der ungarische Antisemitismus trifft. Er überlebt die Judenverfolgung.[23]

Der österreichische Regisseur Hanns Schwarz, mit dem René Hubert von 1928 bis 1931 in mehreren Pommer Produktionen bei der UFA gearbeitet hat, muss 1933 ebenfalls aus Deutschland fliehen, da er aus einer jüdischen Familie stammt. 1934 emigriert Schwarz in die USA und beginnt unter dem Namen Howard Shelton für Fox Films als Drehbuchautor zu arbeiten, danach wechselt er als Produzent zu MGM, Regieaufträge erhält er dort aber nicht. Seinen letzten Film, erneut ausgestattet von René Hubert, «The Return of the Scarlet Pimpernel» (1937) inszeniert er in London für den Produzenten Alexander Korda. Er stirbt 1945 im Alter von 57 Jahren in Hollywood.[24]

Selbiges Schicksal trifft auch den aus Österreich stammenden Regisseur und Drehbuchautoren Wilhelm Thiele, mit dem René Hubert in «Liebeswalzer» und in der Erfolgskomödie «Die Drei von der Tankstelle» gearbeitet hat. 1933 muss er wegen seiner jüdischen Herkunft ins Ausland fliehen. Über England und Österreich gelangt er nach Amerika. Ab 1936 führt er in Hollywood Regie, doch kann er in den USA nicht mehr an seine Erfolge in Europa anknüpfen. Zweimal führte er bei Tarzan-Filmen mit Johnny Weissmuller Regie, einer der Filme ist ein Propagandafilm gegen das Dritte Reich.[25]

Den in Berlin geborenen Schauspieler Julius Falkenstein stattet René Hubert in «Stürme der Leidenschaft» aus. Auch für ihn, als Juden, beendet der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 jäh seine Karriere. Zwar bekommt er noch eine Sondergenehmigung, wird aber nach März 1933 nur noch ein einziges Mal im Film eingesetzt, er stirbt am 9. Dezember 1933 in Berlin an einer Gehirnhautentzündung.[26]

Otto Wallburg, Schauspieler und Kabarettist und ebenfalls in Berlin geborenen, wird seine jüdische Herkunft auch zum Verhängnis. René Hubert steht, in seinem einzigen kurzen Filmauftritt, als elegant gekleideter Zeuge Loiret gemeinsam mit Otto Wallburg als Rechtsanwalt Dr. Schüler im Film «Hokuspokus» im Gerichtssaal vor der Kamera. Auch in «Bomben auf Monte Carlo» wird der Schauspieler von Hubert eingekleidet. Im Vorstandsprotokoll der UFA vom 29. März 1933 heisst es zu Julius Falkenstein und Otto Wallburg heuchlerisch: «o) Da gegen ihre Persönlichkeiten auch bei den Regierungsparteien keine Bedenken bestehen, steht ihrer Weiterbeschäftigung nichts entgegen, jedoch soll vermieden werden, ihnen tragende Rollen zu geben.» Trotzdem wird auch Wallburgs Vertrag mit der UFA und kurz darauf auch sein Berliner Theaterengagement aufgelöst. Er flieht mit seiner Familie nach Österreich wo er noch Engagements findet. 1938 flieht er über Frankreich nach Amsterdam. 1943 entgeht er einer ersten Verhaftungswelle, im Jahr darauf wird er nach einer Denunziation doch noch verhaftet. Nach seiner Deportation ins niederländische Übergangslager, Durchgangslager Westerbork, wird Otto Wallburg am 31. Juli 1944 in das Ghetto Theresienstadt und von da aus am 28. Oktober weiter ins KZ Auschwitz verschleppt, wo er in der Gaskammer ermordet wird.[27]

Lilian Harvey, einer der grössten Stars des deutschen Kinos in den 1930er Jahren und mehrfach von René Hubert ausgestattet, kauft sich bereits 1931 ein Haus an der Côte d’Azur. 1935 kehrt sie ins nationalsozialistische Deutschland zurück und dreht mehrere erfolgreiche Filme. Nachdem bekannt wird, dass sie weiterhin jüdische Freunde in ihrem Haus empfängt, wird sie von der Gestapo beobachtet und gilt in der Folgezeit als unzuverlässig. 1939 verlässt sie schliesslich Deutschland und emigriert nach Frankreich. Nach der Besetzung Südfrankreichs flieht sie 1942 nach Hollywood. Im folgenden Jahr erkennt das NS-Regime ihr die deutsche Staatsbürgerschaft ab.[28]

Deutschlands berühmtester Intendant Max Reinhardt, an dessen Berliner Grossen Schauspielhaus René Hubert bereits 1924 mit Erik Charell und Ernst Stern, in der Revue «An Alle!», als Bühnenbildner und Kostümdesigner gearbeitet hat, soll Deutschland bereits am Abend des Reichstagsbrands verlassen haben. Die NS-Herrscher wollen Reinhardt zwar zunächst durch Einräumen einer «Ehren-Arierschaft» halten, aber dem Juden, mit Geburtsnamen Maximilian Goldmann, ist schon früh klar, dass er keine Zukunft in Deutschland mehr hat. Nach seiner Flucht aus Deutschland, schreibt er am 16. Juni 1933 an die Hitler-Regierung: «Der Entschluß, mich endgültig vom Deutschen Theater zu lösen, fällt mir naturgemäß nicht leicht. Ich verliere mit diesem Besitz nicht nur die Frucht einer 37-jährigen Tätigkeit, ich verliere vielmehr den Boden, den ich ein Leben lang gebaut habe und in dem ich selbst gewachsen bin. Ich verliere meine Heimat.»[29] Nachdem er sich noch einige Jahre in Europa halten kann, emigriert er 1937 endgültig in die USA.[30]

Robert Gilbert, Liedtexter und Lyriker wird nach der Machtergreifung als Jude im Sinne der nationalsozialistischen Gesetze verfemt und muss emigrieren. Er hat im von René Hubert ausgestatteten Erfolgsfilm «Die Drei von der Tankstelle» den Text zum noch heute bekannten Evergreen «Ein Freund, ein guter Freund» geschrieben. Auch im Singspiel «Im weissen Rössl» ist er für die Texte verantwortlich, René Hubert hat in der Uraufführung 1930 in Berlin die mondänen Chorkostüme beigesteuert. Erste Station von Gilberts Exil ist Wien, wo er unter Pseudonym schreibt. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 flieht er nach Paris, ein Jahr später in die USA.[31]

Die beliebte österreichisch-amerikanische Sopranistin Fritzi Massary gehört, im lebensfrohen Berlin der 1920er- und frühen 1930er-Jahre, auch zu Huberts Kundinnen.[32] Massarys Aufführungen der Operette «Eine Frau, die weiss, was sie will», werden bereits 1932 durch antisemitische SA-Sprechchöre gestört. Angesichts des Aufstiegs der Nationalsozialisten verlässt die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammende Massary Deutschland noch 1932, was das Ende ihrer erfolgreichen Karriere bedeutet. Zwar spielt sie noch in Wien und versucht sich auch in London, jedoch erfolglos, denn dort singt sie nicht mehr in ihrer Muttersprache. Über die Schweiz und Frankreich emigriert sie 1939 zu ihrer Tochter in die USA.[33]

Bei René Hubert löst die Machtergreifung durch das Nationalsozialistische Regime von Adolf Hitler grosses Befremden aus. Insbesondere die daraus resultierenden Repressionen, die im Filmbereich arbeitende, befreundete deutsche Juden und Homosexuelle, direkt und unmittelbar, zu spüren bekommen, nimmt er mit grossem Unbehagen und Besorgnis zur Kenntnis. Mit Erich Pommer, Ludwig Berger, Robert Liebmann und Hans Müller erfahren vier an «Walzerkrieg» direkt beteiligte die antisemitische Unterdrückung durch die neuen Machthaber bereits Monate vor Drehbeginn. Viele weitere UFA-Beschäftigte und auf Berliner Bühnen tätige Künstler aus dem Bekanntenkreis von René Hubert bekommen die neuen Machtverhältnisse unmittelbar im Frühjahr 1933 zu spüren und verlassen Deutschland umgehend. Ob Hubert, als Homosexueller, selbst irgendwelchem Druck durch die UFA ausgesetzt war, ist nicht bekannt, aber die unzähligen Schicksale aus seinem direkten Arbeits- und Freundeskreis dürften ihm gereicht haben. Er verlässt Deutschland mit Abschluss der Dreharbeiten an «Walzerkrieg» im Juli 1933 für immer und kehrt nie wieder zurück. Als Weltbürger ist Hubert nicht auf Berlin angewiesen.

Adieu Paris, mon amour

Wieder in Paris, wird Danielle Darrieux, welche die Leibeigene Mascha spielt, von René Hubert in «Volga en flammes» eingekleidet. Regisseur Viktor Tourjansky versteht es hervorragend, eine russisch-zaristische Atmosphäre nachzubilden, mit den Liedern, den Einstellungen und der beeindruckenden Szenerie, in der sich die Charaktere im Schnee verlieren.

In «On a volé un homme», den René Hubert im Oktober 1933 in den Joinville Studios nahe Paris ausstattet, arbeitet er mit Lili Damita und Nina Myral.[34] Damita soll einen Geschäftsmann, der seine Konkurrenten ruinieren will, in einer Villa überwachen, aber die beiden verlieben sich ineinander und versuchen zu fliehen. Als Regisseur zeichnet sich der, bereits im März 1933 aus Deutschland emigrierte Max Ophüls verantwortlich, Produzent ist der ebenfalls geflohene Erich Pommer. Pommer produziert gleichzeitig «Liliom», einen Liebesfilm von Fritz Lang, beide Filme sind Flops an der Kinokasse. Ophüls meinte später, die beiden Regisseure seien jeweils der falschen Produktion zugeordnet worden, «hätten wir die Filme ausgetauscht, hätte Lang höchstwahrscheinlich ein aussergewöhnliches Mysterium und ich eine sehr gute Liebeskomödie gemacht.»[35]

Für Fritz Langs ersten Film im Exil, «Liliom», der zugleich seine einzige französische Inszenierung ist, steht René Hubert wiederum an der Seite des Produzenten Erich Pommer zur Verfügung. Pommer und Lang haben bereits in den 1920er Jahren die Meisterwerke «Die Nibelungen» und «Metropolis» geschaffen. Als Drehbuchautor zeichnet sich der hoch angesehene Exilant Robert Liebmann verantwortlich. Als Art Director ist u.a. auch Huberts langjähriger Freund, André Daven, für das Set Design und die Erstellung der Bauten zuständig. Neben dem ebenso charmanten wie faulen Nichtsnutz Liliom, gespielt von Charles Boyer, kleidet Hubert auch wieder Madeleine Ozeray als Dienstmädchen Julie ein, die sich in Liliom verliebt.[36]

Am 6. Februar 1934 hat im Opera House in Manchester das Musical «Here’s How» Premiere. René Hubert kehrt an die Bühne zurück und stattet die Musicalkomödie mit farbenprächtigen Kostümen aus. Ein kommen und gehen von bunten Figuren, in besonders geschmackvollen Kostümen, ist im zweiten Akt in einer Szene an einer blau-silbernen Cocktailbar zu sehen.[37] Möglicherweise hat Lili Damita, die in einigen wunderschönen Kostümen zu sehen und mit der Hubert schon seit Jahren privat befreundet ist, ihn nach England gelockt. Er hat für sie möglicherweise schon 1929 im Film «The Bridge of San Luis Rey» (Gowns by Adrian) das eine oder andere Kleid entworfen.

«Sapho» wird René Huberts letzte Arbeit in Paris. Sein alter Freund, Regisseur Léonce Perret, hat ihn engagiert, um die markante Stimme von Mary Marquet in der Hauptrolle durch passende Kleidung in Szene zu setzten. Dies ist die einzige Filmrolle von Mary Marquet in den 1930er Jahren, und auch sie schätzt die Zusammenarbeit mit Hubert sehr, wie aus einer Postkarte an ihn zu entnehmen ist: «Danke für deine Wünsche, lieber Liebster! Ich denke oft an unsere charmante Freundschaft – Lass mich wissen, wenn du zu Hause ankommst. Viel Freude und…. Ich küsse dich, deine Mary».

Am Mittwoch, den 18. April 1934, schifft sich René Hubert an Bord des Transatlantik-Passagierdampfers «Paris» in Le Havre ein und verlässt Frankreich Richtung Amerika.[38] Das Schweizer Bürgerrecht besitzend, kann man bei ihm, zumindest zu diesem Zeitpunkt, noch nicht von Exil und Flucht reden. Aber er begleitet viele andere europäische Emigranten über den Atlantik, die alle Hoffnungen im alten Kontinent verloren haben. Letztendlich folgt er einfach erneut, von der Reiselust und neuen Herausforderungen getrieben, dem lukrativen Ruf Hollywoods nach dem kreativen «Parisien Designer».

Rolf Ramseier, November 2021


[1] 331014Hebdo Film-revue, p. 12, ”La Guerre des Valses”, Raymond Vilette

[2] 331214 Comœdia, 14 décembre 1933, ”La Soirée de Gala de La Guerre des Valses”

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/UFA & Ernst_Hugo_Correll

[4] https://www.filmportal.de/material/der-ufa-vorstand-zum-ausschluss-der-juedischen-mitarbeiter - zitiert nach Klaus Kreimeier: Die UFA Story: Geschichte eines Filmkonzerns. München; Wien 1992, S. 248

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Walzerkrieg

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Liebmann

[7] https://www.deutsche-biographie.de/sfz66881.html

[8] books.google; Stefan Zweigs brennendes Geheimnis, von Ulrich Weinzierl, Zsolnay Verlag, Wien 2015 - ”Der Tauschäugige”

[9] https://gedenkbuch.univie.ac.at/index.php?id=435&no_cache=1&person_single_id=40444

[10] https://www.literapedia-bern.ch/Müller,_Hans_1882-1950

[11] Recherche von Arthur Maibach, Biograf von Hans Müller-Einigen

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Günther_Stapenhorst

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Wohlbrück

[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Hörbiger

[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Rosy_Barsony

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Renate_Müller_(Schauspielerin)

[17] https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/0710-schauspielerin-renate-mueller-hitler-goebbels-100.html

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Pommer

[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Charell

[20] 460708 Shamokin News Dispatch, Monday Jul 8 1946, “Dress will end 13-year career in Hollwood”

[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Richard_Heymann

[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Lazar_Wechsler

[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Gertler

[24] https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Schwarz_(Regisseur)

[25] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Thiele

[26] https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Falkenstein_(Schauspieler)

[27] https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Wallburg

[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Lilian_Harvey

[29] Zitiert nach: Max Reinhardt. „Ein Theater, das den Menschen wieder Freude gibt ...“ Eine Dokumentation. Hrsg. von Edda Fuhrich und Gisela Prossnitz. Langen Müller, München, Wien 1987, S. 176 f.

[30] https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Reinhardt

[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Gilbert

[32] Namenslisten 1934 & 1960er, Nachlass René Hubert

[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Fritzi_Massary

[34] 331029 Le Jour, 29 octobre 1933

[35] From Caligari to California: Erich Pommer's life in the International Film Wars. Hardt, Ursula (2021) [1996]. Berghahn Books. pp. 142–143

[36] https://de.wikipedia.org/wiki/Liliom_(1934)

[37] 340208 The Stage, Thursday 08 February 1934, “Provinicial Productions”

[38] 340427 L’Écho de Paris, 27 avril 1934